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Der Pausenterror der Klima-Akteure

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[UPDATE v. 16.01.2013: Aktuelle Informationen inklusive Illustration zur Erwärmungs-Abkühlungsdebatte am Ende dieses Textes]

Mir brummt mal wieder der Schädel. Ein furchtbares, ganz charakteristisches, oft sehr plötzlich auftretendes Brummen im Vorderhirn. Es macht sich immer dann bemerkbar, wenn in dem speziellen Hirnareal, das ich dort für diese Zwecke eingerichtet habe, die axonale Hornhaut durchbrochen und, eingeleitet durch fortgesetzte  Depolarisationen zahlreicher Nervenzellmembranen, eine fatale Folge von Aktionspotentialen generiert wird. Das kommt gottseidank selten vor. Denn der Auslöser für diese verhängnisvolle Hirnaktivität sind Meinungsäußerungen von Zeitgenossen, die in dem wissenschaftlich weitgehend abgeschotteten Biotop der Klimawandelskeptiker, -leugner und -relativierer zu finden sind. Wer schon einmal den Versuch unternommen hat, sich mit seinem Klarnamen in die mutmaßlich ebenfalls sehr speziellen Hirnwindungen dieser basal wissenschaftsinteressierten Spezies vorzutasten, oder sich den Protagonisten sogar mit Mailadresse auszuliefern, versteht sofort, was gemeint ist.  Kurz gesagt: Sensorischer Durchzug wäre die Ideallösung.

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Die ist so leider nicht immer zu realisieren als Wissenschaftsjournalist, der sich  mit geophysikalischen und klimatologischen Arbeiten beschäftigt. Deshalb kommt es wie zwischen den Jahren oder nun, bedauerlicherweise kurz hintereinander, vor, dass das Vorderhin bis zum Platzen wie beschrieben malträtiert wird. Gegenmaßnahmen sind geboten.  Leider verlaufen Selbsttherapieversuche, auch wenn sie einen seriösen Anstaz bieten, nicht immer glücklich. Wie in einem Fall, als ein Weltverschwörungstheoretiker mit akademischem Titel kürzlich den Weltklimarat im Namen „einer der renommiertesten Journalisten Kanadas (mit dem zugegeben herzerfrischenden Namen Donna Lafroimboise) argumentativ zur Strecke zu bringen versuchte. Und das noch in der sicheren Erwartung, dass man den Jeanne-d’Arc-würdigen Aufschrei der kanadischen Eisfee („Löst das IPCC auf!“) auch fern der Polarfront ernst- oder gar übernehmen möge. Der Preis, der für tolerantes Kummunikationsverhalten in diesen Kreisen zu entrichten ist, macht allerdings jeden Therapieerfolg zunichte. Denn jede halbwegs inhaltlichargumentative Regung wird natürlich in den besagten Kreisen per Emailvertreiler herumgereicht und es stellt sich dieses ungute Gefühl des intellektuellen Missbrauchs ein.

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Von wegen Abkühlung: Australiens Wetterdienst hat seiner Prognose jetzt eine neue Farben verpassen müssen, weil in Landesteilen deutlich über 50 Grad vorhergesagt wurden.

Immer gut also, man hat Unterstützung. Wie nach der zweiten klimaepileptischen Attacke im präfronateln Kortex, die diesmal allerdings in Großbritannien quasi ferngezündet wurde. Der „Telegraph“  (link) meldete Stillstand für den Klimawandel. Das hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Eine, die nicht etwa gegen den Telegraph gerichtet war, der – sagen wir es freundlich – interpretationslustig – über eine neue Modellrechnung des britischen Wetterdienstes berichtet e und die falschen Schlüsse zog, sondern gegen den Wetterdienst und die Klimaforschung im Allgemeinen. Mein Lieblingskurzkommentar aus dieser Reihe der Klimawandel-das-wars-Mitteilungen geht so (hier der Originaltweet): „The ipcc is more certain of anthropogenic warming than scientists are certain that mobile phones won’t give you cancer“. Übersetzt: Der IPCC ist sich zumindest sicherer, was den anthropogenen Klimawandel angeht, als die Wissenschaften, dass Handys Krebs auslösen können. Immerhin nicht falsch.

Das britische Science Media Centre mit seinem starken personellen Backup an Experten hat die Dinge inhaltlich schnell zurecht zu rücken versucht. Kommentare von Richard Allen, Myles Allen, Brian Hioskins und Chris Rapley haben mit der gebotenen Distanz deutlich gemacht, dass, wie der Oxforder Myles Allen schreibt, „es dumm wäre, die neuen Modellergebnisse so zu interpretieren, dass das was seit dem Jahr 2000 passiert ist,  ein Beweis für den Stillstand des Klimawandels wäre“.

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Was also war geschehen? Das BBC hat es in gewohnt schneller und Leseanreiz liefernder Weise („Klimamodell-Vorhersage revidiert“) zusammengefasst, was der britische Wetterdienst herausgebracht und wie es im Wetterdienst heisst, „aus Gründen der Transparenz“ – doch ohne mediale Verstärkerabsichten – an Heiligabend des Vorjahres auf seine Webseite gestellt hatte (was die bloggenden Verschwörungstheoretiker zusätzlich animierte). Es geht um die Ergebnisse des HadGEM3-Modells (hier das Update dazu vom Met Office), einem jener seit Jahrzehnten entwickelten mittelfristigen Vorhersagemodelle, mit denen aber weder die Klimaforscher noch die Meteorologen so recht warm werden wollen. Der Grund: Die mittelfristige – dekadische –  Vorhersage, hier insbesondere die Prognose von jahreszeitlichen Wetterentwicklungen über mehrere Jahre, die gegebenenfalls sehr servicenah in der Landwirtschaftsberatung etwa in Extremwetter gefährdeten Regionen nützlich wäre, hat sich als nicht ausreichend reproduzierbar erwiesen. Deshalb wird auch betont, dass es sich bei dem revidierten Modell  des Hadley-Centres HadGEM3 um ein „experimentelles Prognosemodell“ handele. Fakt ist: Das neuer Modell hat in Versuchen die jüngste Klimaentwickjlung zuverlässiger reproduziert als das Vorgängermodell. Und deshalb glaubt man ihm, bei allen grundsätzlichen Einschränkungen, auf Seiten des Met Office mehr als dem alten Modell.

Nach der jüngsten Rechnung kommt nun heraus:  Zwischen den Jahren 2012 und 2017 dürfte die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur im Vergleich zur Basis zwischen 1971 und 2000 bei +0,43 Grade liegen; nimmt man die Unsicherheiten dazu, liegt die wahrschieinliche Erwärmung im Bereich zwischen +0,28 bis +0,59 Grad. Das alte Modell war zu einer Erhöhung um +0,36 bis  +0,72 Grad, also  im Mittel um +0,54 Grad gekommen. Der neue Wert liegt insgesamt nur knapp über der Temperaturanomalie von 1998, als ein gewaltiger El Nino den Globus vom tropischen Pazifik aus ungewöhnlich stark aufgeheizt hatte. Sieht man sich die Temperaturkurve nun unkritisch unter Einschluss der neuen – experimentellen –  Prognosedaten an, kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass von einer beschleunigten Erwärmung, wie sie die ungebrochen wachsenden Kohlendioxidemssionen nahe legen, kaum eine Rede sein kann.

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Kurvenreich: Das Ergebnis der HadGEM3-Studie Quelle Met Office

Die Hoffnung besteht, dass nun an der Stelle der gesunde wissenschaftliche Sachverstand nicht aussetzt oder gar vorsätzlich lahmgelegt wird, wie das bei dem Thema gelegentlich impfkampagnenhaft der Fall ist. Und tatsächlich ist genau dies geschehen. Statt also erst einmal darauf zu hören, wie die neuen Daten zustande kommen und wie die Aussagekraft des Experiments geophysikalisch einzuordnen sein könnte, werden die Unheilsglocken der Kassandra geläutet und die Kapitulation der Klimakatastrophenforschung gefordert. Solchen Auswüchsen  ist auch ein weitgehend schon refraktäres Klimaskespsiskontrollzentrum in meinem Frontalhirn ziemlich machtlos ausgeliefert.

Dabei gab es relativ schnell nach dem Bekanntwerden der Kurve schon brauchbare Erklärungsansätze (und sie kursieren schon länger auch in Skeptikerkreisen, weil eine Abschwächung der Erwärmung aufgrund natürlicher Klimaschwankungen länger schon diskutiert wird). Der Ozeanograph Richard Allen aus Reading zum Beispiel legt seine jüngste Studie vor,  in der er zeigt, dass ein Großteil der in der treibhausgasgeschwängerten Atmosphäre gespeicherten Energie quasi unter der Meeresoberfläche zwischengelagert wird. Chris Rapley vom University College, der sich „fast verzweifelt“ angesichts der Fehlinterpretationen durch Blogger gibt, beziffert die Wärmeaufnahmekapazität der Ozeane auf neunzig Prozent. Die Botschaft ist klar: Die Schieflage des Energiehaushaltes und insbesondere die  treibhausbedingte Erwärmung sind nicht eins zu eins am Hausthermometer abzulesen. Für die „Pause“ im Globaltemperaturanstieg ebenso wie für Modellschwankungen halten die Met-Office-Forscher, obwohl sie noch nichts Genaueres sagen können, die langjährigen natürlichen Klimaschwankungenals für die wahrscheinlichste von vielen möglichen Ursachen.

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Von wegen Abkühlung II: Die Vereinigten Staaten hatten 2012 einen neuen Hitzerekord zu verzeichnen. Quelle NOAA

Wie dem auch sei, von einem „Stillstand des Klimawandels“ wie das in Windeseile kolportiert wurde, kann jedenfalls nicht  die Rede sein. Das hat das Met Office inzwischen in seinem Update auf der Homepage auch deutlich gemacht. Wer sich die experimentellen Daten mit gesundem Menschenverstand ansieht, wird zudem viele Hinweise finden, die gegen allzu willfährige Skeptikerassoziationen sprechen. Zum Beispiel wird in der Prognose auch mitgeteilt, dass mindestens zwei von fünf Jahren in der Zeit bis 2017 neue globale Rekorde liefern sollen, was die Jahresduchschnitstemperatur betrifft. Von einer Abkühlung kann jedenfalls keine Rede sein.

Trotzdem findet man die gegenteilige Behauptung, nämlich die einer vermeintlichen Abkühlung oder Klimawandel-Pause, immer wieder. Fast reflexartig erscheint sie nach solchen zwar kritikwürdigen, weil immer noch spekulativen (aber doch nicht weltbewegenden) Studienergebnissen. Und sie findet dann auch schnell und reichlich Verbreitung. Das kann nicht an der Seriösität solcher Behauptungen per se liegen, sondern vielmehr daran, dass nach dem dumpfen Glockengeläut der Pseudoskeptiker massenhaft Blogs geschrieben werden. Blogs auch wie diesen hier, die sich ähnlich verallgemeinernd und meinungslastig einen Standpunkt zu eigen machen. Nachdem allerdings die differenzierende, vorsichtige Variante der Selbsttherapie in der Vergangenheit bereits mehrfach gescheitert war, probieren wir es halt mal so. Einen Versuch ist es wert.

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UPDATE v. 16.01.2013: Die Originalveröffentlichung der Nasa mit Video ist hier zu finden: http://www.nasa.gov/topics/earth/features/2012-temps.html

„Langzeittrend zur globalen Erwärmung hält auch 2012 an“

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Die Farben auf der Weltkarte  zeigen zeigen absoluten Temperaturen, sondern Abweichungen im Vergleich zum Mittelwert der Jahre 1951 bis 1980. Das Jahr 2012 war isngesamt das neun wärmste seit 1880.  Die Kurven darunter geben die Temperaturabweichungen von vier verschiedenen Klimazentren weltweit wider.Quelle Nasa

 

von Joachim Müller-Jung erschienen in Planckton ein Blog von FAZ.NET.


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